Die Pest ist in der Stadt, nur in anderem Gewand – ein Premierenabend gegen das Vergessen

Die Zeile „Die Pest ist in der Stadt, nur in anderem Gewand“ entstammt einem der drei Lieder, die von Steffen Schleiermacher im Auftrag des Gewandhausorchesters zu Leipzig nach Texten des tschechischen Dichters Jaroslav Seifert vertont wurden. 

Unter dem Titel „Die Pestsäule“ erfuhren sie gestern im Rahmen des tschechischen Kulturjahres in der Schaubühne Lindenfels ihre Uraufführung. Wie ein roter Faden zog sich die Mahnung durch den Premierenabend mit Konzert und Kino, wie tief Diktaturen in das Leben von Menschen – ob Künstler, Philosoph oder Milchmann – eingreifen können.

Zur Begrüßung der knapp 100 Zuhörer und Zuschauer erinnerte Dr. Markéta Meissnerová, Generalkonsulin der Tschechischen Republik in Sachsen, daran, dass die politische und künstlerische Freiheit, die wir seit 1989 auf dem Boden der ehemaligen Tschechoslowakei oder der DDR genießen, keineswegs selbstverständlich sei. Diese abstrakte Wahrheit werde aber erst am konkreten Schicksal einzelner fassbar. Einzelner Schicksale, wie sie der 1969 unter der Regie von Jiří Menzel entstandene Film „Lerchen am Faden“ oder die Lebenswege der am Abend aufgeführten drei tschechischen Komponisten zeigen, so die Generalkonsulin.

Die drei Komponisten Marek KopelentPeter Kolman und Jan Klusák sowie der Regisseur und Schauspieler Jiří Menzel hatten sich während des Prager Frühlings 1968 gegen das kommunistische Regime und die sowjetische Besatzung ausgesprochen. Mit schwerwiegenden Folgen für sie: Denn den Arbeits- und Aufführungsverbotenihrer Werke folgte zumeist das Vergessen oder wie es Steffen Schleiermacher ausdrückte „das organisierte Vergessen des Regimes“. 

Der sehr bewegenden Darbietung der Musiker ist es zu verdanken, dass Kunst und Künstler diesem kollektiven Vergessen entrissen wurden: Neben „Die Pestsäule“ standen „Le Chant du merle au détenu“ und „Ballade“ von Marek Kopelent, „Molisation“ von Peter Kolman und „1-4-3-2-5-6-7-10-9-8-11“ von Jan Klusák auf dem musikalischen Programm. Es sang die Sopranistin Julia Sophie Wagner. Sie wurde vom Ensemble Avantgarde und Steffen Schleiermacher am Klavier begleitet. 

Jiří Menzels Film „Lerchen am Faden“ lag 19 Jahre lang im Tresor. Er erlebte erst 1990, 21 Jahre nach seiner Fertigstellung, seine Premiere auf der Berlinale und wurde mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet. Zu Recht. Ungemein berührend erzählt der Film eine Liebesgeschichte in einem Umerziehungslager für Regimegegner in den 50er-Jahren. Trotz des brutalen Alltags in dem Eisen- und Stahlwerk und der Allmacht der offiziellen Vertreter des Regimes, lässt der Regisseur Raum für Hoffnung. Ein Meisterwerk des 1938 in Prag geborenen Oscarpreisträgers, der leider aus gesundheitlichen Gründen nicht am Premierenabend in Leipzig teilnehmen konnte. Er gehört zu den berühmtesten Vertretern der tschechoslowakischen Nouvelle Vague. Die literarische Vorlage für „Lerchen am Faden“ bot wiederum einer der bedeutendsten tschechischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, Bohumil Hrabal(1914-1997).

Übrigens: Ab Donnerstag, 29. November, ist der neue Film „Der Dolmetscher“ von Regisseur Martin Sulik mit Jíří Menzel und Peter Simonischek in den Hauptrollen in den deutschen Kinos.

Bildunterschrift: Dr. Markéta Meissnerová (Generalkonsulin der Tschechischen Republik in Sachsen) begrüßt die Gäste am 24. November in der Schaubühne Lindenfels.

Foto: Ruth Justen

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